Rostock, 4.8.2021
An den Beirat für Bürgerbeteiligung der Hansestadt RostockAntrag auf Bürgerbeteiligung bei der Gestaltung und Entwicklung des Gebiets „Groter Pohl“ in der Rostocker Südstadt
Rostock will eine Grüne Stadt am Meer sein: „Gemäß dem Leitbild Grüne Stadt am Meer geht es darum eine lebens- und liebenswerte Stadt für diese und künftige Generationen zu erhalten und zu gestalten“.1 Das wollen wir auch. Deshalb setzen wir uns für den Erhalt von grünen Freiräumen in der Stadt ein, insbesondere für das Gebiet des Groten Pohls/ehem. KGA Ernst Heydemann/KGA Pütterweg (im folgenden Groter Pohl) in der Südstadt. Zur Entwicklung des ca. 22 ha großen (noch grünen) Gebietes stellen wir einen Antrag auf umfassende Bürgerbeteiligung.
Wer sind wir?
Wir sind eine Gruppe von Menschen, denen eine zeitgemäße, nachhaltige natur- und menschenfreundliche Stadtentwicklung am Herzen liegt. Ein Teil dieser Menschen bewirtschaftet Gärten in der KGA Pütterweg2 und setzt sich mit der Initiative Pütterweg bleibt! für den Erhalt der Grünflächen auf dem Groten Pohl ein. Ein anderer Teil setzt sich in der NAJU aktiv für Umweltschutz und Artenvielfalt ein. Zudem sind andere Initiativen mit unserem Anliegen verbunden.
Worum geht es?
Soviel Natur mitten in der Stadt? Auf dem Areal des Groten Pohls zwischen Innenstadt, KTV und Südstadt gibt es fast flächendeckend sehr wertvolle Biotope mit etwa 2.000 Obstbäumen, mit über 40 Vogelarten, streng geschützten Zauneidechsen und Fledermausarten und sehr vielen besonders geschützten Tierarten. Das vielfältige Futterangebot von Blüten, Früchten, Samen und Nüssen, sowie das Bestreben zu einer immergrünen Bewirtschaftungsweise macht diese Artenvielfalt erst möglich und auch für den Menschen lebenswert. Der Baumbestand ist alt und divers. Außerdem sind das Stadtklima (z.B. Frischluftschneisen) und der Schutz vor Wasserstau für die Zukunft extrem wichtig. Das genannte Gebiet übernimmt hier eine wichtige Funktion.
Das Gelände wird vielfältig genutzt: Die einzelnen Gartenparzellen in der KGA werden von Freunden und Familien bewirtschaftet (häufig mehrere Personen pro Parzelle), es gibt einen Eltern-Kind-Garten, einen Gemeinschaftsgarten, Treffpunkte für Initiativen, ein Tauschregal. Im Gebiet der bereits verlassenen bzw. abgerissenen Parzellen ernten Menschen das Obst der Bäume, Kinder finden einen paradiesischen Naturspielplatz, andere Menschen treiben Sport, picknicken, gehen spazieren oder führen ihren Hund aus. Das Gebiet dient der Erholung für sehr verschiedene Nutzungsgruppen, es ist ein Ruhepol.
Mit der geplanten Bebauung würden fast 22 ha artenreiche und diverse Grünfläche zerstört. Ein einzigartiger grüner Freiraum für Mensch und Natur würde verschwinden. Eine für das Stadtklima wesentliche Fläche würde versiegelt. Wir als Menschen, die in dieser Stadt leben und diese Stadt ausmachen wollen mitbestimmen, was mit dieser Stadt passiert.
„Bäume und Wiesen – urbanes Grün macht unsere Städte attraktiver und lebenswerter. Stadtgrün reguliert die Temperatur, reinigt die Luft und wirkt sich damit positiv auf das Stadtklima und auf die Gesundheit aus. Es bietet Lebensraum für Flora und Fauna und unterstützt die biologische Vielfalt in der Stadt. Da immer mehr Menschen in unseren Städten leben wollen und leben werden, nimmt die Bedeutung einer „Grünen Infrastruktur“ zu. Sie steigert die Wohnqualität, fördert Freizeit, Sport und Erholung und kann damit den sozialen Zusammenhalt und die gesellschaftliche Teilhabe stärken“ (Dr. Dr. Barbara Hendricks; Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit).3
Was wollen wir?
Eine 22 ha große Grünfläche mit einem gewachsenen Baumbestand von über 2000 Bäumen soll laut Beschluss der Bürgerschaft versiegelt und bebaut werden. Das Gebiet der Innenstadt ist bereits unterversorgt mit Grünflächen. Die stark zunehmende Verdichtung und Versiegelung der Innenstadt und angrenzender Stadtgebiete vernichtet Freiräume und Erholungsflächen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Die Bürgerschaft der Hansestadt Rostock hat vor vielen Jahren beschlossen, das Gebiet des Groten Pohl zu bebauen. Ein erster Bebauungsplan wurde verworfen. Nun liegt ein aktueller Entwurf für die Bebauung des Gebiets vor.4 Jenseits der formellen Bürgerbeteiligung gab es bislang keinerlei Formen der informellen Bürgerbeteiligung. Bewohner*innen der Innenstadtgebiete und Nutzer*innen des Gebietes wurden bei der Planung für dieses Gebiet an keiner Stelle einbezogen.
Die Vorgehensweise in Bezug auf die Entwicklung des Gebietes erscheint uns intransparent und z.T. nicht nachvollziehbar. So können wir nicht nachvollziehen, warum bereits vor Jahren die KGA Groter Pohl und Ernst Heydemann durch Kündigung aufgelöst wurde, obwohl kein rechtskräftiger öffentlicher Bebauungsplan vorlag. Die KGA Pütterweg hat gegen die erhaltene Kündigung erfolgreich geklagt. Unter Berufung auf Bevölkerungsprognosen, die mittlerweile revidiert wurden, wird eine Notwendigkeit für die Bebauung des ca. 22 ha großen Gebiets des Groten Pohls behauptet.5 Andererseits findet die klimabewusste Stadtentwicklung keine Berücksichtigung. Und das, obwohl im Hinblick auf den Klimawandel die Notwendigkeit von urbanen Grünflächen und Frischluftschneisen insbesondere in stark verdichteten Stadtgebieten mehrfach betont worden, etwa im Umwelt- und Freiraumkonzept der Hansestadt.6 Zum einen liegt die Erstellung des B-Plans ganz in der Verantwortung der Stadt und zum anderen hat genau diese beschlossen, bis 2035 klimaneutral zu werden. Dieses ambivalente Vorgehen wirft bei uns Fragen auf.
Wir wünschen uns eine zeitgemäße zukunftsorientierte Stadtplanung, die die Bedürfnisse der Bewohner*innen nach Freiraum, Grünflächen und Mitbestimmung bei der Gestaltung ihrer Stadt berücksichtigt. Alle Menschen, insbesondere auch Kinder und Jugendliche brauchen für eine gesunde Entwicklung Freiräume, die sie gestalten können, grüne Flächen als Rückzugs- und Erholungsort sowie frische Luft. Dies zeigt sich insbesondere in Zeiten der Pandemie.7 Der Bedarf nach innenstadtnahen Naturflächen für die Menschen ist heute noch höher als zur Zeit des Aufstellungsbeschlusses. Eine Stadt ist mehr als ihre Häuser. Neben der sozialen Perspektive müssen im Hinblick auf den auch hier spürbaren Klimawandel unbedingt ökologische Aspekte berücksichtigt werden.
Wir wollen, dass das Areal des Groten Pohls unter umfangreicher Beteiligung der Bürger*innen und Bürger geplant und gestaltet wird und unterschiedliche Perspektiven aufgenommen werden. Das Projekt könnte im Hinblick auf Bürgerbeteiligung und zeitgemäße sozial-ökologische Stadtentwicklung neue Maßstäbe setzen. Hier bietet sich die Möglichkeit, vielfältige informelle Formen der Bürgerbeteiligung einzusetzen und bürgerschaftliches Engagement zu stärken und zu fördern. Zugleich könnte die Hansestadt hier etwas schaffen, was die Bekanntheit und den guten Ruf der Hansestadt überregional bzw. international unterstützt.
Warum Bürgerbeteiligung?
In den bisherigen Plänen der Bürgerschaft/Stadtverwaltung zur Bebauung des Areals wurden die Interessen der Bürger*innen, Nutzer*innen, Kinder und Jugendliche nicht genügend berücksichtigt. Insbesondere die Interessen der heranwachsenden Generation werden ohne erweiterte Bürgerbeteiligung nicht gehört und erkannt. Wenn über eine erweiterte informelle Bürgerbeteiligung die Ideen und Wünsche der Jugendlichen, der BürgerInnen und NaturschützerInnen in einem Beteiligungsverfahren zu Tage und zum Tragen kommen, besteht die Chance auf eine nachhaltige diverse Entwicklung des Gebietes - für unser aller Zukunft und Lebensqualität. Ebenso besteht in einer breiten Bürgerbeteiligung die Chance, kreative Ideen und Kompromisse zwischen dem Erhalt von Grünflächen, einer offenen sozialen, kulturellen und ökologischen Nutzung und einer behutsamen Bebauung zu entwickeln.
Bezug zu den Leitlinien zur Stadtentwicklung Rostock 2025
Die Hansestadt Rostock hat sich in ihren Leitlinien zur Stadtentwicklung Rostock 2025 auf die Fahnen geschrieben, dass Natur- und Lebensräume bewahrt werden, ein gesundes Lokalklima geschaffen wird, Rostock sich an den Klimawandel anpasst und eine grüne Stadt am Meer wird. In welcher Weise entspricht die geplante Bebauung den Leitlinien zur Stadtentwicklung? Wie passt es dazu, dass bei solch einem wichtigen Gebiet die Bewohner*innen in Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen nicht einbezogen werden?
Wir sehen insbesondere die folgenden Leitlinien nicht berücksichtigt und fordern, dass die Bürgerschaft und Stadtverwaltung die Leitlinien einhält:
- Rostock ist Vorreiter beim Klimaschutz (Leitlinie IV)
- Soziale Stadt (Leitlinie VI)
- Stadtplanung (…) in hoher Qualität (Stadtteile mit Einwohnerinnen und Einwohnern gestalten, Wohnen in der Stadt als besondere Qualität herausstellen) (Leitlinie VII)
- Grüne Stadt am Meer (Leitlinie VIII)
Bezug zum Leitfaden Bürgerbeteiligung
Seit 2019 bietet der „Leitfaden für mitgestaltende Bürgerbeteiligung“ ein Regelwerk, wie Bürgerbeteiligung in Rostock gelebt werden kann. Danach kommt der informellen Bürgerbeteiligung eine besondere Bedeutung zu. Diese soll frühzeitig erfolgen und keine Ergebnisse/ Beschlüsse vorwegnehmen. Nach dem „Leitfaden für mitgestaltende Bürgerbeteiligung“ sollen alle interessierten Einwohner*innen über laufende oder geplante Vorhaben der Stadt frühzeitig informiert werden. „Die Grundüberlegungen eines Vorhabens werden so früh wie möglich –in der Regel aber spätestens drei Monate vor der Erstberatung in der Bürgerschaft –veröffentlicht. Die Verwaltung informiert über Vorhaben und geplante Beteiligungen ebenfalls frühzeitig –das heißt mit Beginn der Planungsphase.“ Dies ist beim Groten Pohl bisher nicht erfolgt, obwohl die Umnutzung des Groten Pohl von großer Bedeutung für das öffentliche Interesse ist.
Folgenden Kriterien des Leitfadens zur Identifizierung beteiligungsrelevanter Vorhaben treffen auf den Groten Pohl zu:
- Zu dem Vorhaben ist eine Beteiligung vorgesehen; (formell)
- Vermutetes hohes Interesse der Einwohner*innen der gesamten Stadt, eines Stadtteils, eines Quartiers oder der Nutzer*innen einer Einrichtung oder hohe Zahl an betroffenen Personen;
- Wesentliche Änderung des Ortsbildes;
- Entwicklungskonzepte und Aktionspläne für die Gesamtstadt, einen Stadtteil oder ein Quartier, beispielsweise zu den Themenfeldern
- Soziales, Klima-und Umweltschutz, Verkehr, Infrastruktur, Denkmalschutz, Kultur, Bildung und Gesundheitswesen, Sport...;
- Vorhaben, die Ziele und Handlungsweisen festlegen (z.B. Leitbilder, Chartas oder die Fortschreibung des Leitfadens für Beteiligung).
Wir freuen uns auf eine spannende Bürgerbeteiligung!
Initiative Pütterweg bleibt! und NABU Regionalverband Mittleres Mecklenburg e.V.